Was passiert mit den sprechende Tieren?
Seit der langersehnten Pressemeldung vom 18.12.2007 herrscht in vielen Tolkien-Communities ein heiteres Diskutieren über die Umsetzung des Filmes: Soll der Hobbit geteilt werden oder in einem Film erzählt werden? Soll es wirklich dreizehn Zwerge geben? Und am wichtigsten von allen: Sollen die Tiere, ähnlich wie in den Narnia-Filmen, sprechen?
Zur Klärung dieser Frage füllen sich bislang schon ganze Foren. Natürlich hat es in erster Linie etwas mit dem persönlichen Geschmack zu tun, ob man sprechende und tischdeckende Tiere mag oder eher lächerlich findet. Peter Jackson hat in den „Herr der Ringe“-Filmen bewiesen, das man die sprechenden Tiere, wenn es auch nur wenige sind, schweigend übergehen oder stilvoll integrieren kann. Zu beachten ist auch das Prädikat „Treue zu Werk“. In wie fern darf man überhaupt Charaktere und Begebenheiten einfach so weglassen, obwohl Tolkien sie in seinem Buch eindeutig beschreibt. Um diesen Fragen auf die Spur zu kommen, lasse ich nun zum größten Teil den Meister selbst sprechen. Als Referenz dienen die von Humphrey Carpenter herausgegeben Briefe J.R.R. Tolkiens.
Tolkien war ein Meister im Geschichtenerzählen – besonders am Bett seiner Kinder. Und so stellte er sich an, einige dieser kleinen, aber feinen Geschichten niederzuschreiben, damit seine Kinder sich in ihrer Freizeit daran erfreuen können. „Der kleine Hobbit“ sollte Teil dieser Geschichtensammlung werden. Ursprünglich hatte sie Garnichts mit der Mythologie Mittelerdes zu tun (Letters, No. 257). Doch während er schrieb fügte sich die Geschichte einer Mythologie, deren größte Teile bislang nur seinem Kopf existierten. Somit wurde die Erzählung um den kleinen Hobbit größer und heroischer. Man kann also getrost davon ausgehen, dass die sprechenden Tiere die Kinder amüsieren sollten – denn immerhin war es eine Geschichte für Kinder.
Als Tolkiens „Hobbit“ am 21. September 1937 veröffentlicht wurde – „überstürzt und unüberlegt“ (Letters, No.215) – so wurde er nach wie vor von dem Irrglaube beeinflusst, dass Märchen (fairy-stories) ausschließlich für Kinder bestimmt seien. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie dem schelmischen Zusatz „von 7 bis 70“ erhielten.
„Den Wunsch, meine Geschichten vorranging an Kinder zu richten, hatte nichts mit den Geschichten tu tun oder mit dem Verlangen, diese zu schreiben. Aber es hat eine unglückliche Auswirkung auf die Ausdrucks- und Erzählweise, welche ich, wenn ich nicht so gehetzt worden wäre, hätte berichtigen müssen.“ (Letters, No.215)
Bücher könnte man füllen darüber, ob sich die sprechenden Tiere nun auch unter die kindliche Erzählweise fassen lassen. Fakt ist, dass sprechende Tiere vorwiegend aus Kinderliteratur stammen. Wie Tolkien es selber erwähnt, ist jene Art der Literatur unbeschwert und leicht verständlich geschrieben – naiv, um es zuzuspitzen. Dem Schreibstil passen sich auch die Themen an. Ein Kind versteht nichts von komplizierten, politischen Gefügen oder von sich über mehrere Generationen entwickelnde Intrigen. Ein Kind braucht etwas, das es versteht. Und unter diesem Aspekt lassen sich auch die sprechenden und tischdeckenden Tiere aus Beorns Hütte einordnen.
„Ursprünglich stand „Der Kleine Hobbit“ in keiner Verbindung [mit dem „Herr der Ringe“ und dessen Mythologie], jedoch wurde er unausweichlich in die Ausmaße der größeren Konstruktion gezogen und hat diese letztlich modifiziert. Unglücklicherweise war er anfänglich, soweit ich mir darüber bewusst war, als Kindergeschichte beabsichtigt, und da ich damals erst wenig Gespür hatte, und meine Kinder noch nicht alt genug waren, mich zu berichtigen, enthält es einiges von der Albernheit der Art und Weise, die ich unbedacht von dem aufgefangen habe, das mir entgegen gebracht wurde. […] Ich bereue das zutiefst. Und intelligente Kinder tun das auch.“ (Letters, No.163)
Tolkien unternimmt einige Versuche, den Stilbruch zwischen dem Hobbit und seiner Fortsetzung zu begründen. Sicherlich kann man nur darüber spekulieren, welche Aspekte er genau darunter versteht. Andererseits, überprüft man die beiden Werke hinsichtlich ihrer Konsistenz, fällt auf, das sprechende Tiere in diesem Maße, wie sie im Hobbit vorkommen, in seinem Nachfolger „Der Herr der Ringe“ nicht zu finden sind. Tolkien bereut diese Fehler zutiefst. Dieses Einfügen von Erzählelementen für Kindergeschichten (zu dem die sprechenden und tischdeckenden Tiere zweifelsohne gehören) gehört damit nicht in den Rahmen dieser Geschichte und nicht in den Kontext der Mythologie Mittelerdes.
„Ich bin mich nicht besonders an Kindern interessiert, und schon gar nicht darin, für sie zu schreiben, sondern darin, meine Geschichten direkt und ausdrücklich an jene zu richten, die die Sprache der Erwachsenen nicht verstehen.
Ich schreibe Dinge, die als Märchen zu klassifizieren wären, nicht deshalb, weil ich Kinder ansprechen möchte […]“ (Letters, No.215)
Somit kann man die Tiere in Beorns Hütte zweifellos als einen „Fehltritt“ Tolkiens bezeichnen, um der Geschichte etwas Kindhaftes zu verleihen, etwas, das von ihm erwarte wurde.
„Die Verbindung zwischen „Der kleine Hobbit“ und seiner Fortsetzung ist, so glaube ich, jener: „Der kleine Hobbit“ ist eine erste Abhandlung oder Einführung in eine komplexe Erzählung, die sich bereits seit Jahren in meinen Gedanken formte. Aus zwei Gründen war sie offenkundig an Kinder gerichtet: Zu jener Zeit hatte ich selbst Kinder und ich war es daher gewohnt, (belanglose) Geschichten für sie auszudenken; in mir hat sich der Glaube entwickelt, das es eine echte und besondere Verbindung zwischen Kindern und Märchen gab. Oder eher zu glauben, dass dies ein Dogma meiner Welt und der Verleger war. Ich bezweifelte das, da es weder mit meiner persönlichen Erfahrung noch mit der Beobachtung, die ich an Kindern machte, übereinstimmte. Aber diese Gepflogenheit war fest verankert.“ (Letters, No.215)
Tolkien macht es sogar noch deutlicher:
"Die grundsätzlich andere Ausdrucks- und Erzählweise im "Hobbit" ist, auf Grund der Entstehungsgeschichte, darauf zurückzuführen, dass ich diese Geschichte als Teil eines großeren Zyklus genommen habe und sie als Kindermärchen behandelt habe. Einige Feinheiten in Spannkraft und Bearbeitung der Geschichte waren daher ein Irrtum." (Letters, No.131)
Man kann also weiter davon ausgehen, das Tolkien die anthropomorphen Tiere in die Geschichte einfügte, weil a) Mittelerde in dem Sinn noch gar nicht existierte und deshalb keine maßstabgerechte Vorlage vorhanden war und b) weil es seine Verleger und die Welt um ihn herum von einem Kinderbuch so erwarteten.
Interessanterweise bereut Tolkien seine Fehler, hat sie aber nie komplett beseitigt. Anhaltspukte zu Gründen konnten zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrages nicht gefunden werden.
Wie sollte nun aber Peter Jackson (wenn auch nur als ausführender Produzent) mit den Tieren in eine Verfilmung des „Hobbits“ verfahren?
Viele Fans stehen für Kontinuität ein – genau wie Tolkien, der seine Fehler aber nicht mehr berichtigen konnte. „Der Hobbit“ spielt in derselben Welt wie „Der Herr der Ringe“, nur einige Jahre vorher. Daher liegt es eigentlich auf der Hand, dass der Regisseur die a) Kontinuität bewahren müsste, und b) Zu Gunsten Tolkiens die sprechenden Tiere dort, wo sie an Kindergeschichten erinnern und lächerlich wirken, ausspart.
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Dieser Blogbeitrag wurde freundlicher Weise im Newsbereich der größten Herr der Ringe Community Deutschlands aufgenommen.
helix - 21. Dez, 21:16